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18. April 2015


Start der Kampagne #aufstehen

Während der einwöchigen Mahnwache von CORASOL gegen die Verschärfung des Asylgesetzes wagte unsere Kampagne #aufstehen den Sprung an die Öffentlichkeit.

Als Stewardessen und Flugbegleiter verkleidet warben wir für unsere „Airline“, die nicht startet, wenn ein Fluggast hierbleiben will. Während der Performance ging unser Flugpersonal auf die PassantInnen vor dem Brandenburger zu und lud unzählige Menschen an Bord unserer #aufstehen - Kampagne ein. 
Mit Flugblättern und in spannenden Diskussionen schärften wir die Sinne für die Problematik und machten Mut, aktiv etwas gegen die Abschiebung von Flüchtlingen zu unternehmen. Wir waren erstaunt, wie viele Menschen spontan mitmachten bei #aufstehen, indem sie aus unseren Flugzeugsitzen aufstanden und sich dabei von den Stewards filmen ließen. 
Es war überwältigend und rührend für die Crew, in dieser ersten Mission auf so viel Interesse und Partizipation zu stoßen. Wir möchten uns bei Corasol und all den „Fluggästen“ bedanken, die diesen Tag für uns unvergesslich gemacht haben.
Svenja

Foto: Arata Mori




















Das erste Flugblatt zur Kampagne:   #aufstehen

Sehr geehrte Fluggäste,

Reisen gehören zu unserer Vorstellung von Freiheit. 
Die Welt steht heute allen offen. Doch es ist möglich, 
dass in der Maschine, mit der Sie fliegen möchten, 
ZwangspassagierInnen sitzen, - Menschen, die nicht 
freiwillig reisen.
hinschauen
Jemand weint, schreit, wehrt sich oder wirkt ruhiggestellt?
Schauen Sie nicht weg.
ansprechen 
Nehmen sie mit Fluggästen, bei denen es sich um 
Abzuschiebende handeln könnte, Kontakt auf. 
Niemand darf Ihnen das verbieten. 
Es steht Ihnen frei zu handeln:
Stehen Sie auf! Solange Sie stehen, kann nicht gestartet werden. 
Informieren Sie den Flugkapitän! Aufstehen kann Menschenleben retten.

WIR STEHEN AUF FÜR MENSCHEN IN NOT.

mehr zur Rechtslage 
beim Aufstehen im Flugzeug: 
www.proasyl.de



28. März 2015

Regie-Notizen zum Kurzfilm DIE BÜRGSCHAFT




Seit fast zwei Jahren trage ich den Wunsch in mir, Schillers Bürgschaft zu verfilmen. Die Idee, dass da zwei Freunde mit ihrem Treuebeweis über den Tod hinaus sogar das Herz eines Tyrannen bezwingen, den sie drei Tage vorher noch ermorden wollten, haut mich um.
Zur Annäherung an den Stoff habe ich reichlich recherchiert. Dionys II. gab es wirklich. Die Freunde Damon und Phintias zählten zur berüchtigten Sekte um den Philosophen Pythagoras, der ca. 400 v. C. nicht nur mit Gleichungen für Dreiecke, sondern auch mit seiner Freundschaftslehre in Syrakus auf Sizilien von sich reden machte. Seine friedfertigen Anhänger waren dem Tyrannen ein Dorn im Auge. Der heißblütige Damon kam dem Herrscher gerade recht. Dionys hoffte, an dem zum Tode verurteilten Attentäter, der seinen Bürgen verrät, ein Exempel für Feigheit und Verlogenheit der Freundschaftsprediger statuieren zu können. Doch das Experiment ging nach hinten los.
Lange hab ich gegrübelt, wie ich Schillers Verse ins Heute übersetze. Mehrere Schreibversuche scheiterten. Historisch wollte ich nicht erzählen. Doch das aktuelle Deutschland taugt in meinen Augen nicht besonders zur „Tyrannei“, auch wenn jede Demokratie zu wünschen übrig lässt.
Seit letzten Sommer engagiere ich mich im UnterstützerInnenkreis der Flüchtlingsunterkunft in der Straßburger Straße, Berlin. Ich bin ins Gründungstreffen reingerasselt und war, ehe ich mich versah, zur Hausaufgabenhilfe für den Freitag eingeteilt. Im Kindergemeinschaftsraum des Heims erwartet mich seither jede Woche Chaos pur. Als Lehrertochter musste ich alle hübschen Vorsätze des Unterrichtens über Bord werfen und mich den Gegebenheiten vor Ort anpassen.
Kinder jeden Alters wollen eine Aufgabe, Aufmerksamkeit, Herausforderung, Lob, und zwar wild durcheinander in allen erdenklichen Sprachen. Permanent zupfen drei Vorschüler an meinem Pullover, während ich einem Roma-Mädchen von 16 Jahren das kleine Einmaleins zu veranschaulichen versuche… Die Freitagnachmittage in der Unterkunft möchte ich nicht mehr missen. Nach und nach fassen auch die Eltern meiner Schützlinge Vertrauen zu mir. Mein Horizont hat sich durch das winzige Ehrenamt extrem erweitert.
Eines Morgens war mir plötzlich klar, wie Die Bürgschaft heute funktioniert. In der Woche zuvor waren einige Familien aus der Straßburger Straße an den Stadtrand umgesiedelt worden. Sie erfuhren mittags, dass die Zimmer in drei Stunden geräumt sein mussten. Die Leute hatten keine Ahnung, was mit ihnen geschieht. Einige Kinder, deren Namen ich noch mühsam am Lernen war, waren freitags einfach nicht mehr da. Auch in den Willkommensklassen der Schulen in der Nachbarschaft fehlten sie. Die festangestellte Kindergärtnerin der Unterkunft hatte Tränen in den Augen, als sie von der Abholung erzählte. Dabei handelte es sich hierbei „bloß“ um den Umzug in ein anderes Lager. Wie muss es den Menschen ergehen, wenn sie erfahren, dass es ins „Drittland“ geht, wo sie Fingerabdrücke hinterlassen haben, oder zurück in die „sichere Heimat“?

Foto: Arata Mori
Die Tyrannei, von der wir erzählen möchten, ist die Tyrannei der europäischen Abschottung gegen all jene Menschen, die bei uns Schutz, Frieden oder einfach die Chance auf ein menschenwürdiges Leben suchen. Während Europa seine Banken vor dem Untergang rettet, schaut es zu, wie im Mittelmeer Menschen ersaufen. Das begreife ich nicht.
Schillers klassische Verse mit Filmbildern aus einem fast schon dokumentarischen Heute zu kombinieren, das ist das Experiment. Wir sind wild entschlossen, die Filmhandlung ohne Dialog zu erzählen -‐ auch wenn das erstmal spröde anmutet -‐ in Bildern, denen nach und nach die Farbe entzogen wird. Manche Übersetzungen vom klassischen Ton ins moderne Bild liegen nahe. Wenn bei Schiller der Fluss unüberwindlich anschwillt und „zum Meere“ wird, wird unsere Filmheldin beim Küssen von Endorphinen überschwemmt. An anderen Stellen haben wir länger geknabbert bis schlüssige Lösungen auf dem Tisch waren. Für den Film wird Musikkomponiert, die an die Herkunftsländer der in den Berliner Unterkünften untergebrachten Menschen erinnert, u. a. Gypsy brass.
Schillers pathetischer Schluss erlaubt uns, mit unserer Bürgschaft ein Stück Deutschland zu besingen, dass angesichts des Zulaufs, den die Pegida-Bewegung zur Zeit genießt, mindestens so große Aufmerksamkeit verdient. Das Deutschland der bunten Initiativen, der Willkommenskultur, das Deutschland derer, die dafür einstehen, dass ihr Land mit seinem Reichtum und seiner Geschichte die Türen öffnet und offenhält für Menschen in Not.

Kerstin